Wenn es um Organisationsentwicklung geht, scheint die Auswahl an Frameworks und Ansätzen schier unendlich: Agile, Lean, Kotters 8‑Schritte-Modell, Theorie U, Loop Approach, OKR oder das relativ neue unFIX – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Jedes dieser Frameworks verspricht, der Schlüssel zu erfolgreichen und nachhaltigen Veränderungen zu sein. Doch welches ist das richtige und führt zum Ziel? Und sind die Ansätze auch wissenschaftlich fundiert? Sind sie auf solide Erkenntnisse der Organisationspsychologie gestützt, oder handelt es sich eher um anekdotische Evidenz?
Die Vielfalt der Frameworks
Die schiere Menge an Frameworks mag auf den ersten Blick überwältigend erscheinen. Und sie ist es auch. Schließlich gibt es für jedes Problem und jede Situation eine scheinbar passende Lösung. Doch in der Praxis kann die Wahl des „richtigen“ Modells schnell zur Herausforderung werden. Was heute als best practice gilt, kann morgen schon wieder überholt sein – denn auch in dieser Domäne gibt es Hypes und Modeerscheinungen! Viele dieser Modelle beruhen auf den Erfahrungen einzelner Führungskräfte oder Beraterinnen und Beratern, die ihre individuellen Erfolgsgeschichten verallgemeinert haben. Ein prominentes Beispiel ist John Kotters 8‑Schritte-Modell, das häufig als Blaupause für Veränderungsprozesse verwendet wird. Doch wie wissenschaftlich fundiert ist es tatsächlich? Die Realität ist, dass es nur begrenzte empirische Belege für seine Wirksamkeit gibt:
[…] although no formal studies were found covering the entire spectrum and structure of the model. Kotter’s change management model appears to derive its popularity more from its direct and usable format than from any scientific consensus on the results.
(Steven H. Appelbaum et al. 2012, Back to the future: revisiting Kotter’s 1996 change model)
Der „Agil-Industrielle Komplex“
Ein besonders problematischer Aspekt in diesem Kontext ist das, was seit einigen Jahren von Kritikern als „Agil-Industrieller Komplex“ bezeichnet wird. Ursprünglich war die agile Bewegung ein Ansatz, um flexiblere, kundenorientierte und iterative Arbeitsweisen zu fördern. Doch mit dem Erfolg des agilen Ansatzes entstand schnell ein Markt, in dem Beratende und Anbietende ihr eigenes Framework verkaufen wollten.
As the Agile practices were decoupled from the 12 principles, it became normal to simply “roll out” an “Agile transformation” by prescribing “Agile processes and practices,” and then, making teams follow those processes and practices.
(Daniel Mezick, 2016, The Agile Industrial Complex)
Kursangebote und Zertifizierungen wurden entwickelt, um sich von der Konkurrenz abzuheben und das eigene Modell als das einzig wahre zu positionieren. Social Media wurde bemüht, um die Frameworks einem breiten Fachpublikum vorzustellen, tolle Marken wurden kreiert.
Before long an “Agile community” sprouted. Training became widely available, and suddenly “certifications” appeared. Consultants started specializing in “Agile coaching.”
Slowly but surely, an industry took shape. The Agile industry.
The major players in the emerging Agile industry included the institutions, the Agile consulting firms, the tooling vendors, and all of the practitioners.
And a special subset of the practitioners, the “Agile leaders” or “Agile thought leaders.”
(Daniel Mezick, 2016, The Agile Industrial Complex)
Das Resultat ist eine regelrechte Industrie rund um (agile) Frameworks, in der oft mehr Wert auf den Verkauf von Zertifikaten und Schulungen gelegt wird, als auf die tatsächliche Verbesserung der Organisationen, die sie anwenden sollen – denn das skaliert einfach besser (denken wir nur an die zeitlich befristeten Zertifikate einiger Anbieter!). In vielen Fällen führt dies dazu, dass das ursprüngliche Ziel – die Verbesserung der Agilität und Anpassungsfähigkeit – irgendwie aus den Augen verloren wird und stattdessen starre, vorgegebene Prozesse implementiert werden, die wenig Raum für echte Flexibilität lassen.
Before long, the excellent guidance of the Agile Manifesto began to interfere with the business of the Agile industry.
After a while, the excellent guidance the Agile Manifesto provided was often skipped over quickly, and in many cases, it was even completely ignored.
(Daniel Mezick, 2016, The Agile Industrial Complex)
Natürlich muss dabei erwähnt werden, dass das strikte Befolgen der Frameworks durchaus eine gewisse Sicherheit bietet. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass zu dogmatisches Vorgehen am Ende dem Erfolg im Weg steht.
Wissenschaftliche Fundierung oder anekdotische Evidenz?
Während die wissenschaftliche Fundierung in der Organisationspsychologie als Goldstandard gilt, zeigt die Realität, dass viele der derzeit gängigen Frameworks weniger auf soliden Forschungsgrundlagen beruhen und mehr auf anekdotischer Evidenz basieren (und vergessen wir dabei nicht, dass Erfolgsgeschichten sich besser verkaufen als Fehlschläge). Allerdings möchte ich hier betonen, dass dies kein Grund ist, solche Modelle komplett abzulehnen. Vielmehr sollte man immer kritisch betrachten und sich fragen, inwieweit die zugrunde liegenden Annahmen auf die eigene Organisation übertragbar sind. Es ist wichtig, Modelle nicht als universelle Lösungen zu verstehen, sondern als Ausgangspunkte, die an den spezifischen Kontext und die Bedürfnisse der Organisation angepasst werden müssen.
Am Ende zählt das Gespräch
Trotz aller Überlegungen, ob ein Framework wissenschaftlich fundiert ist oder nicht, bleibt eine einfache Wahrheit: Es ist im Grunde egal, welches Framework oder Modell verwendet wird. Der wahre Wert liegt nicht in seiner wissenschaftlichen Fundierung (auch wenn diese überaus wünschenswert wäre) oder theoretischen Eleganz, sondern darin, dass es als Gesprächsgrundlage dient. Entscheidend ist der Dialog mit dem Kunden, das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen und das kontinuierliche Anpassen des Modells an die realen Gegebenheiten.
Am Ende ist es der Dialog, der Veränderung ermöglicht, nicht das Modell. Letztlich sollen ja alle Frameworks darauf abzielen, die Menschen in den Organisationen zu ermutigen, den Wandel voranzutreiben. Ein Modell sollte immer nur der Anfang eines Prozesses sein, der durch Zuhören, echte Zusammenarbeit und Anpassungsfähigkeit geprägt ist.